Im Rahmen des Deutschunterrichts befassten wir uns mehrere Wochen mit dem Theaterstück Nathan der Weise, geschrieben von Gotthold Ephraim Lessing und veröffentlicht im Jahr 1779. Wir lasen das Stück und mithilfe von kulturhistorischen Wissensinputs tauschten wir uns über die Ideen und Philosophien in der Erzählung aus. Das Theaterstück greift zentrale aufklärerische Ideen wie Toleranz, Vernunft und kritisches Denken auf und spielte deshalb eine bedeutende Rolle in der Aufklärung, besonders im deutschsprachigen Raum.
Die Leitgedanken der Aufklärung bestanden darin, rationales und vernünftiges Denken anzuwenden – den eigenen Verstand zu nutzen. Menschen sollen selbständig denken und mithilfe von Beobachtungen und Verstand zu eigene Erkenntnisse gelangen und keinen Dogmen blind folgen. Freies Denken und offene Meinungsäusserung soll jedem Individuum zugestehen - der Mensch liegt im Zentrum dieser geistesgeschichtlichen Epoche. Durch Bildung, Selbstreflexion, Gedankenaustausch und weitere Methoden klärt sich das Individuum auf, kann danach seinen Verstand eigenständig verwenden und sich weiterentwickeln. Das Vertreter der Aufklärung wollten diese Leitgedanken zu verbreiten. Die Aufklärerinnen wehrten sich damit gegen den damaligen Staat, die Gesellschaft und die Kirche. Dieser Widerstand gegen die Dogmen der Allgemeinheit markierte den Übergang aus der Feudalgesellschaft in eine emanzipierte Gesellschaft, orientiert an den Grundprinzipien der Wissenschaft, der Toleranz und der Freiheit.
Lessing vertrat die Ideen der Aufklärung und versuchte diese zu verbreiten. Als er bibelkritische Fragmente, geschrieben von dem deutschen Philosophen Hermann Samuel Reimarus, veröffentlichte, gerat er in einen Diskurs mit dem Pastor Johann Melchior Goeze, dieser beharrte auf die Theorie der sola scirptura, die besagt, die Bibel sei wörtlich zu verstehen. Lessing widersprach der Idee einer wörtlich ausgelegten Bibel. Vielmehr seien die Metaphern und Prinzipien, die die Bibel mitteilen will, wichtig und die Menschen können sich durch die kritische Auseinandersetzung mit der heiligen Schrift aufklären. Laut Lessings Auffassung wird jeder Mensch als gottgeschaffenes Wesen mit einer natürlichen Religion geboren. Diese Religion im Naturzustand wird von den Menschen vergesellschaftet und daraus entsteht eine positive (oder geoffenbarte) Religion. Positive Religionen gibt es viele, basieren jedoch alle auf denselben Prinzipien. Mithilfe der von Menschen aufgebauten Religion findet das Individuum nach seiner Aufklärung zurück zu der natürlichen Religion. Damit kommt Lessing zum Schluss: alle Religionen sind gleich wahr und gleich falsch.
Nathan der Weise soll den Lesern die Aufklärungsideale näherbringen, insbesondere die Toleranz der Religionen und ihre Gleichwertigkeit. Mithilfe der Ringparabel wird klar, dass es keine wahre Religion oder absolute Wahrheit gibt. Beim Lesen von Nathan der Weise stellte ich mir zu einigen Sachverhalten Fragen, die ich für mich im Text als nicht ganz geklärt sah.
Der muslimische Machthaber Jerusalems, Saladin wendet sich in seinem Streben nach einer friedlichen Lösung der religiösen Konflikte in seinem Herrschaftsgebiet zu Nathan und fragt ihn welche Religion er für richtig hält. Mithilfe der Ringparabel gibt ihm dieser eine zufriedenstellende Antwort: es gibt auf diese Frage keine richtige oder falsche Religion. Nach einem Gespräch mit Nathan wird meiner Meinung nach Saladin als aufgeklärt dargestellt. Ich fand jedoch, dass diese Form der Aufklärung durch die Weisheiten einer einzelnen Person eher dem Grundprinzip des eigenständigen Denkens widerspricht. In Lessings Thesen über die natürliche Religion kann Nathan, wie die Bibel, als Mittel zur Aufklärung gesehen werden. Lessing selbst wünscht eine skeptische Auseinandersetzung mit den Bibeltexten, so sollte sich doch auch Saladin kritischer mit den "Überlieferungen" Nathans beschäftigen. Saladin hat Nathans Worte zwar hinterfragt, dennoch hätte man den Gedanken weiterführen können. Nathan beantwortet seine Frage sehr theoretisch, ich denke aber, dass der Diskurs mehr auf realistische Situationen der Konflikte zwischen Menschen hätte bezogen werden können. Ich empfand die Persönlichkeiten und das Verhalten der Figuren in den Handlungen manchmal zu idealisiert, die Psychologie des Menschen - das Irrationale Verhalten welches man als Mensch an den Tag legt und uns dadurch auch menschlich macht, fehlt in meiner Ansicht in dem Stück. Ich denke es sollte mehr Wert auf den Menschen in einer komplexen Gesellschaft und sozialen Gruppen gelegt werden, da dieser Aspekt einen grossen Einfluss auf die Weltanschauung, den Denkprozess und das anschliessende Handeln jedes Individuums hat.
Der Patriarch - ein Fundamentalist - wird nicht aufgeklärt. Er symbolisiert die "harten Brocken" der Gesellschaft die sich eben nicht so einfach aufklären lassen wie Saladin. Nathan kann die Weltanschauung des Patriarchen nicht verändern, ihn von seinem Fundamentalismus nicht abbringen. In dem Theaterstück hätte man auch Menschen, die sich vehement gegen die aufklärerischen Gedanken stellen thematisieren können. Ich frage mich wie Nathan in dem Gespräch mit dem Patriarchen das Ziel verfolgte den Patriarchen aufzuklären und wie er vorgegangen wäre, um diesen von seiner Weltansicht zu überzeugen.
Nathan der Weise und die Leitideen, mit der dieser Geschichte konstruierten wurden, sind schlüssig und durch das Lesen und Auseinandersetzen mit dem Thema können sich Menschen aufklären und zu einem verbesserten Zusammenleben führen und die Gesellschaft als Ganzes bessern. Ich denke jedoch, dass dieses Werk allein nicht genügt, um Lessings Gedanken auf realistische Weise darzustellen.
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