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Berlin, 21.12.2024

28. Februar 2025

Mit dem 409 in die Stadt

06:46 Ostberlin Bahnhof - Berlin Ostbahnhof. Berlin ist eben nichts für Anfänger. Mit der S9 der BVG gehts Richtung Spandau, Alexanderplatz. Wofür steht überhaupt BVG? Bundesverkehrsgesellschaft? Nein, Berliner Verkehrsbetriebe. Das macht aber überhaupt keinen Sinn, da ist ja kein G drin, nur ein V und ein B.

Ausgerechnet, Ausgerechnet heute Abend scheint der Mond so schön und Du bist nicht bei mir. Ausgerechnet, ausgerechnet heute abend hab' ich Sehnsucht und kann doch nichts tun dafür. Um 07:01 stehen sie nach langer Reise endlich am Alexanderplatz, noch bewegen sich die Dächer nicht. Man stellt sich ne Frage: kann man hier anständig bleiben?

Berlin läuft durch den Bahnhof, ein wahres Labyrinth an Treppen und Rolltreppen, man weiss gar nicht mehr in welchem Stockwerk man hier ist. Ein herzliches berlinerisches Willkommen gibt es auf den Toiletten, Nett Hier: "Jibts hier nen Notfallknopf?" "Ick bin doch hier nich zum Hose heraufziehen da, Mensch!" "Ja wer denn sonst?" "Haste ne Macke? Machste mal Dienst Mensch, also sach mal!" Nach zehn Stunden fahren Kaffee, Cappuccino – ist ja noch vor zehn. Danach machen wir uns auf den Weg. Die Rolltreppe führt hinauf. Unter den Linden: Dem Deutschen Volke aber davor eine Baustelle und einen Tisch. (Camus würde sagen, dieser Tisch sei absurd). Die Flaggen sind trotz Regen gehisst.

Jannowitzbrücke, Alexanderplatz, Hackescher Markt, Friedrichstrasse, Hauptbahnhof, Bellevue, Tiergarten, Zoologischer Garten... Auf dem Alex die Arbeiter die gezielt Richtung Arbeit schreiten, daneben die Jungen zurück vom Ausgang, rennen zwischen den Strassenbahnen durch. Wir laufen vorbei an der Besenkammer-Bar, Szenenkneipe am Alex: Man(n) fühlt sich wohl hier.

Im Rewe wird eifrig eingeräumt: "Hat von euch hier jemand di Süssichkeiten gesehen?" "Ne det solln runde sein." "I would take normal water." "Mir hats se mal zwei jezeigt, hab aber nichts damit zu tun." Wir treten in einen Bücherladen ein много книг steht auf kyrillisch an der Tür. "Сколько стоит книга? Я действительно не понимаю, как..." Russisch liegt hier in der Luft.

RB37 S Wannsee, beim Humboldt steht die Schlange (keine Kobra). "Pole? Bist du Pole?" "Nein, Schweizer." "Aber ihr zwei seid schwul oder? Seid ihr zusammen?" "Ne." "Ja ihr Schweizer seid ja auch so Nazis. Ick bin von Potsdam. Ick wohn hier grad um die Ecke." Wieder mit der U-Bahn unterwegs steht ein junger Kerl vor mir, wir laufen davon. Dem Typen im Trainingsanzug sind wir nochmals knapp davongelaufen, der hätte uns bestimmt umgehauen, so wie der schreit. Ein Ticket hat er auch nicht. Darauf geh ich jetzt noch ein wenig Berliner Luft schnappen. "Echt jetzte? Hab heilich Abend frei, ick hab och jesagt muss och damit rechnen, verstehste. Jibt ja schlimmeres. Da jeh ick in die Hölle."

U9 Zoologischer Garten und wieder zum Alex. "Tegel ist ds schlimmste Erziehungsanstalt. Die können mich mal. Wir haben überall die Feuerlöscher geklaut, wir habn den Kleenen verloren." Ja Berlin, schönes Berlin. Weihnachtsmarkt blüht, blaue Lichter überall, blauer Regen, blauer Lichter, blauer Regen, alles blau. Hoffentlich geschieht hier nichts. Der Mann an der Strasse, einer zu viel heute, stehn kann der kaum noch, einer geht noch, einer von vielen hier. Der kann ja gar nicht mehr stehen, soll dem mal jemand helfen. Er fällt zum zweiten Mal um. Ja, anständig war der heute nicht - Berlin ist eben nichts für Anfänger.

Wiedersehen auf dem Alex, Hundekälte.

So wie wir im Deutschunterricht auf den Roman Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin gestossen sind, so wird auch Franz Biberkopf aus seinem stabilen Umfeld in die Grossstadt Berlin geworfen. Orientierungslos und verwirrt verliert man in der Grossstadt der 20er Jahre seien Identität, das Individuum geht unter. Ich habe mich gefragt, ob der Berlin ALexanderplatz, nach knapp 100 Jahren immer noch dieselbe Wirkung hervorruft.

Um diese Frage zu beantworten, begab ich mich im Dezember an den Alexanderplatz und liess die Stadt während 24 Stunden auf mich wirken. Meine Eindrücke erinnerten stark an Döblins Beschreibung. Die unzähligen U- und S-Bahnen lassen die Stationen ineinander verschwimmen. Alexanderplatz, Zoologischer Garten, Pankow – alles überlappt sich. Menschenmassen strömen vorbei, ohne sich wahrzunehmen. Überall wird fliesst Bier, dröhnt Musik und die Geräsuche verschlucke einem. In Bars wird ungehemmt geredet, als kenne man sich ewig, der Name des Gegenüber spielt keine Rolle. Am Alex ist es egal, wer man ist.

Bilder: Eigenaufnahmen

Quellen: ChatGPT (für Überarbeitung und einzelne Ideenfindungen)